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Der Mord an Hermann Blecher ereignete sich am 7. April 1908 in der letzten Phase vom ersten Abriss des Scheunenviertels. Das 15-jährige Mordopfer frequentierte zuvor die Gegend um das Areal ebenso wie der Täter, der damals 43-jährige August Heider, der daraufhin zu einer zehnjährigen Zuchthaus Strafe verurteilt wurde.[1]Deshalb vermutete man schnell, dass sich die Tat unmittelbar in der Nähe des gerade entstandenen Platzes ereignet haben sollte. Beim Fund der Leiche wurde ein Stück Granit gefunden, der aus einem kurz zuvor abgebrochenen Haus in der Kleinen Alexanderstraße Ecke Linienstraße stammte.[2] Tatsächlich verübte Heider den Mord in seiner Wohnung in der Lietzmannstraße, etwa 700 Meter östlich vom Platz.

Tathergang

Nach einem Streit mit seinem Lehrmeister war Hermann auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Täter und Opfer wurden mehrmals gemeinsam in der Markthalle am Alexanderplatz gesehen. Bereits am 6. April trafen sich Blecher und Heider in der Kaffeeklappe in der Alexanderstraße 9. Dort sollen sie die durch unzüchtige Handlungen miteinander die Aufmerksamkeit anderer Gäste auf sich gezogen haben. Vermutlich wollte Heider ihn schon an diesem Abend zu sich nehmen, was ihm aus nicht geklärten Umständen nicht gelang.[3] Von mehreren Bekannten im Scheunenviertel auch am Folgetag abgewiesen, landete Hermann vor dem Bouillonkeller. Dort traf er mit seinem Freund Mojsche Zwirnbaum abermals auf Heider, den er in das Lokal schickte. Zwirnbaum verließ Hermann daraufhin, um seinen Vater abzuholen. Im Bouillonkeller bestellte Heider Hermann ein Roastbeaf mit Zwiebeln, woraufhin Hermann für einige Stunden am Tisch einschlief.[4] Gemeinsam mit dem Aushilfskellner Max W. verließen sie gegen 5:30 Uhr morgens das Etablissement. Max W. trennte sich auf dem Weg von den beiden, Heider gab an, den Knaben zu seinen Vater in die Lothringerstraße bringen zu wollen.[5] Blecher und Heider begaben sich daraufhin jedoch in die Wohnung Heiders. Gegen 8 Uhr morgens kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden, bei denen Blecher zu Tode kam. Auf dem Hinterhof befand sich eine Trockenmaschine, die sehr laut war und mögliche verräterische Laute aus der Wohnung unterdrückte.

Heider gab zunächst an, dass der Jugendliche ihn beklauen wollte, revidierte dies in einer späteren Aussage jedoch wieder. Das Gericht ging davon aus, dass Heider den Jungen vergewaltigen wollte, dieser sich wehrte und dabei im Affekt getötet wurde.

Nach der Tat flüchtete as seiner Wohnung und kam gegen halb 12 Uhr mittags wieder. Mit einem Taschenmesser zerstückelte Heider die Leiche und packte sie in verschiedene Pakete, das dauerte in etwa drei Stunden. Währenddessen betrank er sich mit Kognak.[6] Anschließend versuchte er, die Leichenteile mit Petroleum in seinem Ofen zu verbrennen, was ihm jedoch nur teilweise gelang. Um die Identifizierung der Leiche zu erschweren, zog er u. a die Haut des Kopfes ab. Er wickelte die Leichenteile in eine Schürze seiner Frau und warf das erste Paket sie in der Nähe vom Schloß Bellevue in die Spree. In den Abendstunden fuhr er mit den weiteren Paketen mit der elektrischen Bahn und ab Brandenburger Tor mit der Hochbahn zum Tiergarten und verscharrte sie dort in Sträuchern. Danach kehrte er in einem weiteren Bouillonkeller im Moabit ein. Am folgenden Tag reinigte er seine Wohnung.

Leichenfund und Ermittlung

Bereits in den Morgenstunden des 8. April wurde das erste Paket gefunden, kurze Zeit später auch die weiteren. Am selben Tag wurde die Öffentlichkeit über den Leichenfund informiert, die Leichenteile wurden zusammengetragen und öffentlich zur Schau gestellt. Es ermittelten Kriminalkommissar Max Wannowski (und Kommissar Peters.[7] Aufgrund der nähe zu den Osterfeiertagen kam der Verdacht auf, es würde sich um einen Ritualmord handeln.[8] Heider war am Abend wieder im Bouillonkeller und studierte die Zeitungsmeldungen über den Leichenfund. Danach erkundigte er sich über die Möglichkeit, an gefälschte Personaldokumente zu kommen mit der Begründung, er wäre Privatdetektiv.[6] Am 10. April identifizierten der Vater und sein Meister die sterblichen Überreste des Opfers. August Heider wurde drei Tage später unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Er befand sich gerade auf dem Heimweg, nachdem er den Brand an der Garnison Kirche beobachtet hatte. Zuvor hatte eine "Frau Eckhardt" die Ermittler zum Haus des Täters geführt. Die 18jährige lag noch im Krankenhaus, da sie wenige Wochen zuvor ebenfalls von Heider nach Hause genommen und attackiert wurde, jedoch mit schweren Verletzungen flüchten konnte.[9] Auch die offenbar prägnante Schürze seiner Frau führte durch Zeugenaussagen zu Heider.

Prozess und Urteil

Im Juni 1908 wurde der Mord vor Gericht und aufgrund Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit nach Beantragung der Staatsanwaltschaft unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Dabei mussten hunderte von, größtenteils weibliche Anwesende, die der Verhandlung beiwohnen wollten, den Saal auch gleich wieder verlassen.[10] Einem im Laufe der Verhandlung eingereichten Widerspruch der Verteidigung, die Öffentlichkeit wieder herzustellen, wurde nicht stattgegeben. Nachdem die etwa 70 Zeugen mehrere Stunden auf ihre Anhörung warten mussten, schliefen zahlreiche von ihnen auf den Stufen vor dem Gerichtssaal bevor Sie zum kommenden Tag wieder bestellt wurden.[11]

Letztendlich konnte nicht festgestellt werden, ob Heider sein Opfer im Affekt oder vorsätzlich getötet hätte. Die Epilepsie des Angeklagten wirkte sich mildern aus. Heider wurde am 06. Juni 1908 wegen Lustmord zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, die damalige Mindestdauer für Totschlag. Mit einhergehend waren 10 Jahre Ehrverlust, die Heide erhielt, weil er keine Skrupel hatte, einen dritten, unbescholtenen als Täter zu beschuldigen. [12] [13]Eine Revision im September 1908 wurde vom Reichsgericht in Leipzig abgewiesen. Das Urteil erinnerte an jenes im Fall Feodora Langein, die rund 30 Jahre später in ihrem Wohnaus, welches der Steinstraße 1 zugehörig war, ebenfalls gewaltsam zu Tode kam.

Berichterstattung

Der Fall sorgte sowohl im In-und Ausland für kurze Zeit für großes Aufsehen. Seit Leichenfund war nahezu jede Berliner- und gesamtdeutsche Zeitung darin bestrebt, neue Erkenntnisse der Ermittlungen als Erstes zu präsentieren. Jedes neue Detail wurde akribisch ausgeschlachtet, um der Konkurrenz zuvor zu kommen, obwohl sich alle auf dieselben Polizeiinformationen stützten. Der britische Daily Express berichtete gar über eine Konfrontation zwischen Heider und dem wiederhergestellten Kopf der Leiche, bevor dies überhaupt hätte stattfinden können.[14] In der Bevölkerung sorgte der Knabenmord für Empörung. Nach Überführung des Täters zogen wütende Bürger zum Wohnort Heiders und in das Präsidium, in der Hoffnung, ihm dem Urteil der Selbstjustiz zu überlassen. Die Bevölkerung war, nicht zuletzt durch den Tod der 5jährigen Lucie Berlin im Jahre 1904 an spektakuläre Tätersuchen bei Morden an Kindern und Jugendlichen gewöhnt. Nachdem kurz hintereinander die Identität von Opfer und Täter bekannt wurde, gewann der Fall noch mehr an Brisanz. Zeitgleich war die Harden-Eulenburg-Affäre im Fokus der Öffentlichkeit, die ebenfalls im Homosexuellen-Milieu angesiedelt war. Zudem fiel die Überführung des Täters durch den Brand der Garnisonkirche mit einem weiteren Ereignis zusammen, welches im April 1908 die Berichterstattung beherrschte und somit nah an die Bevölkerung heranbrachte. Heider war, wie viele Anwohner der Gegend in dieser Nacht, vor Ort um dem Kirchenbrand beizuwohnen. Nach den Osterfeiertagen verschwand der Fall sukzessive aus den Zeitungen und wurde noch einmal zur Gerichtsverhandlung aufgegriffen. Anschließend verschwand er aus dem Gedächtnis der Berliner Presse.

Referenzen

Site-logo Die Episoden
denkwürdige Ereignisse im ∇ geeignet zum Nachlesen und Nacherzählen

1906–08: Abriss (Staffel 1)
1908: Knabenmord
1913–14: Geburt
1931: Showdown
1934–35: Abriss (Staffel 2)
1919–37: Razzien
1937: Femizid
1973: Festival
1973/74: Spektakel
1989: Frauenkongress
2016–2018: Intendantenwechsel

seit 2020: Zirkumvention
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