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Die Zirkumvention (auch Hygiene-Demos) war ein mehrwöchiges Performance-Spektakel, das im März 2020 am Platz zum ersten Mal stattfand und später an vielen anderen Plätzen und Städten der deutschen Bundesrepublik reproduziert wurde. Es gilt als die Urform der Querdenker-Demos, einer Kunstform, die sich von einem bekannten Comicladen in der Torstraße inspiriert fühlte.

Entstehung

Die erste Zirkumvention fand am am 28. März 2020 auf dem Platz statt. Das Performance-Kollektiv Haus Bartleby um Anselm Lenz hatte es im Feuillitonestablishment zu Ruhm und Ehre gebracht, indem es mit dem Titel Karriereverweigerung nicht nur Schulterklopfen der ganz Großen einsammelte, sondern dabei auch noch mächtig viel Schotter machte. Da die Masche jedoch nicht lang genug zog, um das Aufmerksamkeitsbedürfnis der Verantwortlichen zu befriedigen, schaute man sich schnell nach performativeren Kunstformen um. Bereits während der Volksbühnen-Besetzung von 2017 traten Teile vom Haus Bartleby als Maoisten verkleidet auf.[1] Lenz selbst fungierte damals in der Rolle des Kriegsberichterstatters an der Frontlinie gegen das Empire of Darkness (a.k.a. Dercon).[2][3] In der Posse Ein Haufen Schei*e treten Lenz und einige Mitstreiter als namenlose Nebenfiguren auf, die in der besetzten Volksbühne Spielzeithefte mit Mein Kampf signieren. Auch wenn die Aktion nach wenigen Tagen abgebrochen wurde, hatte das Kollektiv nun seinen Hang zum radical chic entdeckt. Das Interesse am Platz als Bühne für zukünftige Aktionen war damit geweckt. Das entfachte Feuer wurde konstant am Lodern gehalten.

Im Frühjahr 2020 schien die Zeit für den nächsten Coup von Lenz und Konsorten dann perfekt: Ein sich langsam aber stetig verbreitender neuer Virus sorgte in der bundesdeutschen Bevölkerung für erhöhten Stuhlgang (von dem vermutlich auch Lenz betroffen war), was eine Knappheit an Klopapier zur Folge hatte. Man gründete das Kollektiv KDW (wahrscheinlich für Kaufhaus des Westens), schnappte sich ein paar Megaphone, telefonierte mit einigen befreundeten Kulturjournalisten und bat zum ersten Flashmob unter dem Decknamen Hygienedemo mit dem Motto "Wir wollen Klopapier kaufen!".[4]

Erste Aktionen und Durchbruch

In etwa 50 Menschen spielten an einem Samstagvormittag im März 2020 Szenen von 1931 nach, die zu den Polizistenmorden führten. Man entlehnte sich munter aus Zitaten von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg und mischte deren Rhetorik mit dem benehmen einschlägiger Horsts. Begleitet dazu erschien ein Käseblatt, das sich stilistisch am Stürmer sowie der Bild-Zeitung anlehnte und als Herausgeber ungefragter Weise die Volksbühne angab, welches vom eigentlichen Herausgeber (A.L. persönlich) später als auflagenstärkste Zeitung der Republik (fragt sich nur welcher?) betitelt wurde. Mit den weiteren Ausgaben wurde auch die Inszenierung immer ausgefeilter: Um die Bürgersteige Linienstraße und Rosa-Luxemburg-Straße zogen sächsische Schamane und schwäbische Goaisten Kreidekreise, um die von ihnen ausgerufenen und beanspruchten neue Wohnparzellen und praktizierten kulturelle Aneignung meditierten. Am Karl-Liebknecht-Haus trugen die Statisten schwarz und spielten die Konterrevolutionäre, die gegen steigende Mieten, gegen steigende Temperaturen und gegen Gegen (die Party im KitKat, also deren Ausfall) protestierten. Alles zusammen ergab ein Wimmelbild, welches, wenn es von Hieronymus Bosch oder auch Jonas Burgert festgehalten worden wäre, den Titel bellum omnium contra omnes getragen hätte. So oder so ähnlich war es jedenfalls von den Veranstaltern erhofft gewesen.

Bereits nach der Uraufführung war die Aufmerksamkeit so groß, dass an den kommenden Samstagen recht schnell Folge-Veranstaltungen geplant wurden, denen sich noch mehr Statisten anschlossen und die zunächst bis auf den Alexanderplatz und später auf weitere Teile des bundesrepublikanischen Gebiets ausgeweitet wurden. Der Sommer der Demokratie war ein ausgerufenes Spin-Off mit Festivalcharakter, bei dem sich jeder anschließen konnte, der bereit war, mit einem selbstgebastelten Aluhut zum Pippi-Langstrumpf-Titelsong abzuraven.

Folgen

Die Anwohnerschaft des Platzes fühlte sich von der angestrebten Proteststimmung animiert und protestierte folgerichtig im Stillen gegen die Zirkumvention. Die Volksbühne sorgte mit der Maskierung des Räuberrads für die notwendige dystopische Kulisse.[5]

Lenz wurde nun zum Medienstar und fand nicht nur Mitstreiter sondern auch Konkurrenten um die Vormachtsstellung in der von ihm ins Leben gerufenen Bewegung. Dementsprechend dürfte es ihn nicht sehr erfreut haben, dass irgendwann andere, dem Mainstream eher vertraute Gestalten (wie zum Beispiel ein singender Messias sowie ein kochender Attila und eine arbeitslose Luftballonverkäuferin) die Aufmerksamkeit auf sich und damit von Lenz wegzogen. Ein Highlight war sicherlich ein Reenactment der Sturm auf die Bastille an die Spree verlegt im Spätsommer 2020, wo Lenz aber nur mehr als das wahrgenommen wurde, was er Zeit seines Lebens immer wieder war: Ein Dramaturgen-Daniel a.k.a. kein wirklicher Protagonist. Dementsprechend wurde er nicht müde, unablässig neue Ausgaben der Zirkumvention zu planen.[6]

Einordnung

Die Zirkumvention wird im Allgemeinen meist fehlinterpretiert, ist sie doch nicht mehr oder weniger als eine kongeniale Inszenierung eines deutschen Theater-Horsts (a.k.a. Dramaturg), der Aufmerksamkeit will. Sie dient keinem anderen Zweck als das persönliche Ego ihres Urhebers in den Vordergrund zu stellen und bedient sich dabei dem klassischen Mittel der Scharade. Jeder, der mitmachen will, darf sich selbst einen Grund ausdenken, letztendlich ist alles erlaubt, womit man schlechte Laune und verhärteten Stuhlgang erklären kann. Um auf das Trittbrett des Diversity-Trains aufzuspringen, nahm Lenz selbst die Scheinidentität einer afrikanischen Frau an, um seine Bewegung nicht als das wahrzunehmen, was sie eigentlich war: Eine Aktion von bundesdeutschen, verwöhnten Bildungsbengeln, die gerne auch mal Karl Moor sein wollten.[7]

Referenzen

Site-logo Die Episoden
denkwürdige Ereignisse im ∇ geeignet zum Nachlesen und Nacherzählen

1906–08: Abriss (Staffel 1)
1908: Knabenmord
1913–14: Geburt
1931: Showdown
1934–35: Abriss (Staffel 2)
1919–37: Razzien
1937: Femizid
1973: Festival
1973/74: Spektakel
1989: Frauenkongress
2016–2018: Intendantenwechsel

seit 2020: Zirkumvention
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